Das Malspiel
Gemalt wird beim Malspiel nach Arno Stern mit Pinseln im Stehen auf großformatigem Papier an den Wänden des Holzkubuses.
In der Mitte des Raumes steht der Pallettentisch mit seinen Pinseln und 18 hochwertigen Gouache-Farben.
Wird der Pinsel trocken geht der Malende zurück an den Palettentisch und tunkt den Pinsel erneut in die Farbe.
Dieser Kreislauf zwischen Palettentisch und Malwand entspricht dem natürlichen Bewegungsbedürfnis vor allem von Kindern und schafft ein wertvolles Verhältnis von Nähe und Distanz zum entstehenden Bild.
Ist der Raum auf dem Blatt gefüllt und benötigt noch weiteren Platz für Wachstum und Ausdehnung, so werden weitere Blätter angehängt. Die so wachsenden Bildräume können sich nach oben unten, links und rechts ausdehnen und große Bilder entstehen.
Dies kann über mehrere Malstunden hinweg geschehen.
Die noch wachsenden Bilder werden zur nächsten Malstunde erneut aufgehängt und das Malspiel geht ungehindert weiter.
Die räumlichen Bedingungen und die regelmäßig wiederkehrende gleiche Situation mit ihren einfachen Spielregeln haben eine förderliche Wirkung auf den Malprozess und geben den Malenden innere Freiheit für Entwicklung und beeinflussen positiv Ausdauer und Konzentration.
Dieser Entwicklungsprozess braucht Zeit.
Dauer und Kontinuität der Teilnehmenden ermöglichen es, die Wirkung des Malspiels zu erfahren. Daher wird der Malort regelmäßig, eimal wöchentlich von einer konstanten Gruppe besucht.
Wir Malbegleiter bereiten den Raum sorgfältig vor und begleiten die Gruppe, sowie den Malenden in seinem eigenen Prozess. Wir hängen die Blätter auf, platzieren Reisnägel um und achten darauf, dass genug Farbe da ist.
Dabei wird nicht belehrt, gedeutet oder gewertet.
Hier geht es um das Hervorbringen der “eigenen Spur” die Arno Stern die Äußerung der Formulation nennt. Also alles was auf natürliche Weise ohne Beeinflussung von außen auf dem Papier entstehen will.
Um die Malenden nicht in den Kreislauf aus Lob-Erwartung-Kritik zu bringen, bleiben die Bilder im Malort.
Inspirationen und Eindrücke aus einem Malort in Düsseldorf finden Sie mit freundlicher Genehmigung der dortigen Malort-Betreibenden hier im Link.
Dieses Modellprojekt mit Grundschulen und der Universität Köln zeigt eindrücklich die Wirkung des begleitenden Males.
Arno Stern und die Formulation
Arno Stern, geboren 1924 in Kassel, flieht als junger Mann vor dem Nazi-Regime nach Frankreich und findet in einem Heim für Kriegswaisen Arbeit. Seine Aufgabe ist dort, die Kinder zu beschäftigen. Spielsachen gab es kaum, doch Stifte und Papier waren vorhanden und so begann Arno Stern mit den Kindern zu malen und entwickelte später daraus den ersten Malort in Paris.
In all den Jahren beobachtete er die Kinder und ihrer zahllosen Bilder intensiv und entdeckte, dass bestimmte Formen auf allen Bildern in einer bestimmten Reihenfolge entstanden. Er erkannte, dass jene unbewusste, unbeeinflusste spontane Spur im Rahmen eines allgemein gültigen Programms abläuft, also einer universellen Gesetzmäßigkeit unterliegt, die er später die Formulation nennt.
Bei zahlreichen Forschungsreisen in den Jahren zwischen 1967 und 1974 untermauert er Stück für Stück seine gewonnen Erkenntnisse. In Volksgruppen zwischen Afrika, Südamerika und Asien beobachtet er malende Menschen, die weder künstlerisch noch schulisch je belehrt worden sind. Stern entdeckt, dass die Informationen, nach denen diese Äußerungen ablaufen, in allen Menschen, unabghängig von Kultur, Ethnie und Geschichte, abgespeichert sein müssen.
Neurobiologen wie Prof. Gerald Hüther fanden später heraus, dass der Mensch schon in der ersten Phase seiner Entwicklung im Mutterleib Erfahrungen sammelt, die sich der Sprache entziehen. Hüther nannte dieses Gedächtnis, diese Eintragung, die in den menschlichen Zellkernen zu finden ist, die „Organische Erinnerung“.
Die Formulation beginnt, wenn die Motorik des Kindes diese Spur erstmals ermöglicht. Hier stehen zwei Äußerungen, die ihren doppelten Anfang bilden:
Arno Stern nennt sie nicht „Gekritzel“, sondern wertschätzend „Giruli“ und die aus dem Beklopfen des Blattes entstehende Spur „Punktili“.
Aus diesen beiden Bewegungen entwickeln sich schrittweise die sogenannten Erstfiguren:
Aus Punkten werden Striche, Striche werden zu Kreuzungen , es entwickeln sich Rechtecke, Leiterfiguren, etc.
Die Giruli sind die Grundvoraussetzung um schließlich zum Kreis zu finden, dem später Strahlen, dann Arme und Beine angehängt werden oder ein Kern eingesetzt wird.
Insgesamt sammelte Stern rund siebzig dieser Erstfiguren.
Nun folgen Kombinationen aus Erstfiguren die Arno Stern die „Bilddinge“ und „Trazate“ nennt.
Im Jugendalter wird die Formulation von der Vernunft beschattet. Es ist ein Abschnitt in dem die Dinge möglichst realistisch abgebildet werden wollen. Später ist die Vernunft wieder weniger an der Aktion beteiligt und der Malende ist wieder eine spontane Person. Dies ist
die 3. Periode der Formulation: Die Phase der Hauptfiguren. In ihr ist das Wachsen selbst wichtiger als das Gewächs an sich. Hier kommt es vielmehr auf den Rhythmus an.
Wer das Malspiel als Erwachsener beginnt, durchläuft nicht mehr jede einzelne dieser Phasen. Dennoch wird Versäumtes nachgeholt. Und da Erwachsene häufig noch nicht so starken kunsterzieherischen Einflüssen ausgesetzt waren, befreien sie sich bald von allem Belastenden und überwinden erste Hemmungen oft viel schneller als die Kinder.